Gartenamt

Da wir zu Hause nicht mal einen Balkon hatten, wurden auch meine Eltern irgendwann zu Jüngern Schrebers. Da war ich aber schon dreizehn oder vierzehn, und das Beste am Schrebergarten meiner Eltern war die Tatsache, dass ich am Wochenende dann meistens sturmfreie Bude hatte, weil sie nicht selten nach ausgiebigen Geselligkeiten gleich dort übernachteten.

Weder mein Vater noch meine Mutter hatten den »grünen Daumen«, deshalb war Nachbar Theo für sie so wichtig. Der wusste, wann man welche Blumenzwiebel in der Erde versenkte, wann man welchen Strauch zu beschneiden hatte und ab welcher Halmlänge das Gras anfing, sich unwohl zu fühlen. Mein Vater revanchierte sich mit bisweilen halblegalen Elektroinstallationen, Aushub- und Maurerarbeiten.

»Nä«, meinte Theo noch viele Jahre später, als ich meine Eltern schon nicht mehr fragen konnte, »der geborene Gärtner war dein Vatta nich. In nem Zeuchnis hätte man geschrieben, er war immer stets bemüht, und wir wissen ja, datt datt heißt, er hatte kein Plan von nix, is abba wenichstens nich frech geworden. Und einen guten Gastgeber isser gewesen, da kann man nix sagen. Da war immer genuch zu trinken da und deine Mutter hatte Salate gemacht, die man essen konnte, also da lass ich nix drauf kommen.«

Ich erinnere mich, ab und an dabei gewesen zu sein. Deutschsprachiges Liedgut dröhnte dann aus Lautsprecherboxen aus der Laube, die an ein Vier-Spur-Tonbandgerät angeschlossen waren. Stundenlang Roland Kaiser, Michael Holm, Gunther Gabriel.

»Nur den Heino, den könnt' dein Vatta nich leiden. Der hat dem nich getraut wegen der Sonnenbrille. Dem kann man nich inne Augen gucken, und datt mochte dein Vatta nich. Und deine Mutter hatt ja auch nix gegen so englische Sachen, also Elvis und so watt. Da wurd' dann schomma getanzt, und nich nur auffe Tanzfläche, nä, au schomma aum Tisch. War ne schöne Zeit.«

Eigentlich aber hat der Ruhrmensch seinen Schrebergarten, damit er auch am Wochenende was zu arbeiten hat. Ein Kleingarten ist ein ewiges »Work in Progress«, ständig im Werden begriffen, niemals vollendet.

»Jau, watt waren wir früher hier am wulacken gewesen, dein Vatta und ich! Ich weiß gar nich, watt der mir allet für Leitungen verleecht hat, aber ich bin mir sicher, datt ich von den Stromanschlüssen her auch Raumfahrtmissionen von hier aus steuern könnte. Datt is heute nich anders. Kumma da hinten der olle Korten, der hat auf seine alten Tage noch mit Computer und so watt angefangen. Watt der da allet rumstehen hat! Sonn riesigen flachen Fernseher und sonn Rekorder und Internet und fraach mich nich. Datt Dingen is gesichert wie die Bank von Abu Dubai. Die einzige Laube, in der noch keiner eingebrochen hat, weil die durch die ganzen Gitter und Stahltüren und Selbstschussanlagen nich durchkommen, die Paselacken, die hier immer auf Raubzuch gehen.«

Selbstschussanlagen?

»Nee, war nur Spass. Aber erkundicht hat sich der Korten nach so watt, da kannze von ausgehen. Der kennt doch da den einen Seger, der getz beide Bogestra is, abba früher beide Grenztruppen vonne Ostzone. Den hatta angequatscht, der Korten, abba der konnte ihm wohl nur Tipps geben, wie man dafür sorgen kann, datt Leute, die irgendwo drin sind, nich widda rauskommen. Wie man verhindert, datt die reinkommen, damit hatte der doch nix zu tun.«

Über den ordnungsgemäßen Zustand der Gärten wacht der Vereinsvorstand. Der passt auf, dass die Grundstücke nicht verwildern, die Hecken nicht zu hoch und nicht zu niedrig sind, die Tulpen immer in Reih und Glied stehen.

»Datt muss au sein. Da muss ein gewisser Standard herrschen, sonnz bringt datt doch allet nix! Datt ruft natürlich au schomma den einen oder anderen auffen Plan, der bissken übbaeifrich is. Ich sach dir, da hasse manchmal so Heiermän-ner rumlaufen, die woanders nix geworden sind, hier abba getz den Bundeskanzler raushängen lassen. Ordnung schön und gut, abba wie der Lindemann mit dem Lineal ankam und die Länge von meine Grashalme messen wollte, da hätte ich dem fast die Schuppe über den Scheitel gezogen. Et gibt für allet Grenzen. Abba weisse, der hatte eben zu Hause nix zu sagen, seine Else hatte doch nich nur die Hosen an, die trug nen ganze Anzuch, wenn du verstehst, was ich meine.«

Interessanterweise ist der Gartenverein immer noch eine rein männliche Domäne, oder?

»Prinzipiell hamm doch Frauen damit gar nix am Hut, mit so Führungsaufgaben. Nich datt die datt nich können. Datt will ich gar nich sagen, dann gibbet ja gleich widda ein' verplättet von wegen frauenfeindlich, nä, die Frauen hamm da gar keine Lust für. Und so wie ich datt hier imma mitgekricht habe, war datt auch nix, weil die allet viel zu schnell regeln. Da glucken sonn paar Weiber zehn Minuten zusammen, und dann wissen die, wie datt Sommerfest geht. Und warum? Weilse dann mehr Zeit haben, über uns Kerle herzuziehen oder watt weiß ich. Männer müssen datt allet bissken länger durchdenken.«

Und wird das Sommerfest dann noch besser?

»Nee, abba et is länger durchgedacht, is doch klar!«

Sommerfeste und Sparkastenleerungen ergänzten im jährlichen Feierkalender die grundlosen Gelage und Vergnügungen, die alle unter dem Motto standen, man müsse sich doch »auch mal« was gönnen. Da wurde nicht nur auf dem Tisch getanzt, oder?

»Ich sach dir: Wehe, wenn sie losgelassen! Da kommt kein römischer Kaiser mit. Sodom und Gomorrha und Castrop-Rauxel! Hier laufen Blagen rum, die sind getz erwachsen und die würden nich wissen wollen, wie sie in die Welt gesetzt wurden! Und von wem! Wie oft habbich gehört: Nä also, die kleine Irene is der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten! Nur mit dem Vatta hattse keine Ähnlichkeit. Aber dunkle Haare wie den Karl-Heinz Arnold, abba der is ja widda auf Montage!«

Man kann also festhalten, in so einer Gartenanlage ist immer was los, was, Theo?

»Ich sach ma so: Der Schrebbagahten is dem kleinen Mann sein Ssangssussieh. Ich weiß gar nich, wenn ich tot bin, wie ich ohne datt leben soll.«

 

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